Wenn Unternehmen ihre Serviceabteilungen nur als Reparatur- oder Instandhaltungs-Teams begreifen, verspielen sie die vielleicht größte Vertriebschance der Zukunft. Denn dort, wo der klischeehafte Blaumann Vertrauen schafft, kann Beratung zur Wertschöpfung werden. Was dafür nötig ist: ein strategisches Umdenken – und ein echtes Miteinander von Service und Vertrieb.
Die klassische Vertriebswelt gerät in Bewegung – und das ist gut so. Denn längst verkaufen sich nicht mehr nur Produkte, sondern Erlebnisse, Lösungen, Bindung. Wer dabei nur auf die Vertriebsabteilung setzt, blendet das wahre Potenzial aus: die Menschen im Service. „Service sells“ – so lautet die Essenz einer neuen Marktrealität. Dort, wo Technik auf Expertise trifft, entstehen echte Kundenbeziehungen – und damit Verkaufschancen.
Verkaufsimpulse aus der Praxis – und der Wissenschaft
Wie groß dieses Potenzial tatsächlich ist, zeigen aktuelle Forschungsergebnisse. Nico Schauerte (Vrije Universiteit Amsterdam) und Maik Eisenbeiß (Universität Bremen) analysierten fast 130.000 Serviceeinsätze eines Maschinenbauers. Überraschend: Die Abschlusswahrscheinlichkeit eines Verkaufs stieg vor allem dann, wenn der Serviceeinsatz nicht erfolgreich war – doch genau in diesen Momenten unterbreiteten Techniker besonders selten ein Angebot. Dieser blinde Fleck ist erstaunlich, denn von dieser Schlüsselfähigkeit hängt der Verkaufserfolg im Service maßgeblich ab.
Unternehmen müssen Service-Techniker also darin schulen, erfolgversprechende Situationen zu erkennen – und gezielt mit Angeboten zu reagieren. Das sehen auch die schon erwähnten Forscher so: Wichtig seien dabei nicht klassische Vertriebstrainings, sondern Erfahrung durch regelmäßige Verkaufskontakte. Je häufiger Techniker ein Angebot machen, desto besser werden sie – und desto selbstverständlicher wird ihr Vertriebsbeitrag.
Wichtig ist, dass Unternehmen behutsam vorgehen. Mary Murcott, Beraterin und Studienautorin, warnt: „Ein unsachgemäß ausgeführtes Service-to-Sales-Programm kann die Kundentreue um 20 Prozent reduzieren.“ Doch richtig umgesetzt – mit passenden Anreizen, klaren Prozessen und Schulungen in Kommunikation statt Verkaufsdruck – können Unternehmen messbar wachsen. McKinsey spricht von Umsatzsteigerungen von mindestens 10 Prozent im Serviceumfeld
Vertriebschance Service: Der direkte Draht zum Kunden
Auch Service-Experten aus der Praxis sind sich da einig: „Der Servicetechniker ist vor Ort und kann natürlich extrem gut Vertriebschancen anbahnen, umsetzen, ausnutzen“, sagt zum Beispiel Fred Kastens von me Weiterbildung in einer Folge des KVD Service Podcast. Und er hat recht: Die Nähe zum Kunden, das Vertrauen, das sich über Zeit und Kompetenz aufbaut, sind Kapital. Kapital, das viele Unternehmen bislang nicht bilanzieren – und schon gar nicht strategisch nutzen. Dabei gäbe es viel zu gewinnen. Gerade in Phasen schwacher Auftragseingänge „ist der Service extrem gefordert“, ergänzt Markus Eckstein von me Weiterbildung in der Folge. „Service und Vertrieb müssen zu einer Einheit verschmelzen.“
Die Praxis zeigt: Es funktioniert – wenn man es richtig macht. Erfolgreiche Unternehmen etablieren strukturierte Lead-Prozesse, bei denen der Service Vertriebschancen erkennt und diese gezielt an den Vertrieb weitergibt. Wichtig sei dabei, so erklärt es Dr. Simon Tonat von Service Lobby im KVD Service Podcast, „dass man dem Servicetechniker nicht einfach ein Verkaufsziel aufs Auge drückt. Wer Techniker ist, hat sich bewusst gegen den Vertrieb entschieden.“ Statt Verkaufsdruck brauche es „Prozesse für Leadgenerierung“ – und ein sauberes Zusammenspiel zwischen Techniker und Vertriebsorganisation.
Zusammenarbeit mit Struktur: Die Klammer zwischen Service und Vertrieb
Das Problem vieler Organisationen liegt nicht im Wollen, sondern im Wie. „Es braucht eine offizielle Gelegenheit, wo Vertrieb und Service intensiv miteinander reden, intensiv miteinander arbeiten und wo drauf geguckt wird, ob dieser Prozess sauber ist“, fordern Kastens und Eckstein. Was in vielen Unternehmen noch als interner Machtkampf zwischen Abteilungen läuft, muss zu einem abgestimmten Prozessmodell mit klaren Rollenbildern werden – geführt durch übergreifende Führungskräfte, die echte Integration wollen und leben.
Und es gibt gute Beispiele für diese Integration in der Praxis aussieht: „Unsere Vertriebsexperten haben oft einen sehr guten technischen Blick“, sagt beispielsweise Detlev Bruns, verantwortlich für den Vertrieb bei ista, einem der großen Dienstleister zur Abrechnung von Energiekosten. Gleichzeitig bleibe der Vertrieb auch nach der Übergabe an den Service „eine wichtige Schnittstelle im gesamten Prozess“. Das Beispiel zeigt: Nur wenn alle Akteure Zugang zu relevanten Informationen haben und gemeinsam Verantwortung übernehmen, entsteht eine durchgängige Kundenorientierung – und die Basis für nachhaltigen Umsatz.
Der Vertrauensvorschuss des Technikers – klug genutzt
Besonders wichtig: Die Glaubwürdigkeit des Servicetechnikers ist seine größte Stärke – und darf nicht durch plumpe Verkaufsabsichten verspielt werden. „Der Service löst Probleme. Diese Kombination ist einfach genial“, sagt Fred Kastens und spricht von der berühmten „Blaumann“-Vertrauensbasis, die nur der Service mitbringt.
Doch genau hier lauert auch die Gefahr: Wenn Vertrieb und Service nicht abgestimmt agieren, erleben Kunden widersprüchliche Botschaften. „Worst Case: Montags kommt der Vertriebler und bietet eine neue Maschine an, freitags der Service und schlägt eine Überholung vor – ungeplant. Das wirkt unprofessionell“, warnt Tonat. Die Lösung? Gemeinsame Planung, abgestimmte Kommunikation – und Wertschätzung für die jeweilige Rolle.
Von der Denkschranke zur Denkschule
Nicht zuletzt braucht es ein neues Denken – und zwar auf beiden Seiten. Service und Vertrieb teilen oft ähnliche Denkstrukturen, sind sich ihrer Gemeinsamkeiten aber selten bewusst. „Wenn ein Vertreter eines Unternehmens vor Ort ist, dann möchte der Kunde eine gute, qualifizierte, professionelle Beratung haben“, sagt Fred Kastens. „Und die mündet oft in einen Verkaufsprozess – das merken Servicemitarbeiter manchmal gar nicht.“ Dieses Bewusstsein muss wachsen, durch Schulung, Coaching – und durch eine neue Führungskultur.
Denn am Ende geht es um mehr als Umsatz: Es geht um Vertrauen, Nähe, nachhaltige Kundenbindung – und darum, die Grenzen im Kopf zu überwinden. Service ist längst kein Costcenter mehr. Er ist der Zugang zum Kunden, das Ohr am Markt, der echte Partner im Wertschöpfungssystem. Wer das versteht, der verkauft nicht nur besser – sondern intelligenter.