Künstliche Intelligenz im Service entwickelt sich – erstmal von einer Zukunftsvision zum Experimentierfeld. Inzwischen wird sie aber für immer mehr Organisationen zur Realität und entscheidet darüber, wer vorne bleibt. Doch zwischen Aufbruchstimmung und Unsicherheit zeigt sich: Der Weg von der Idee zur Anwendung ist kein Sprint, sondern ein strategischer Prozess. Wer ihn klug angeht, macht KI zum Erfolgsfaktor – wer zögert, riskiert den Anschluss.
Wenn wir in die Service-Organisationen hineinblicken, sehen wir schon heute weit verbreitet: KI ist fester Bestandteil des Arbeitsalltags. Tools helfen Service-Einheiten beim Schreiben von E-Mails, fassen Fehlerberichte zusammen und liefern Ideen, bevor der erste Kaffee leer ist. KI hat ihren Platz bei vielen KVD-Mitgliedsunternehmen gefunden: als Helferin, Beraterin, Ideengeberin. Aber sie fordert auch heraus, weil sie Strukturen, Rollen und Prozesse verändert.
Gerade im Service ist dieser Wandel spürbar. Dort, wo klare Abläufe und wiederkehrende Aufgaben dominieren – man denke an Ticketannahme, Disposition, Wartung oder auch Dokumentation –, entstehen die größten Hebel. Die Routine verschiebt sich zur Maschine, und die Menschen können übernehmen, wofür sie eigentlich da sind: die komplexen Fälle, die Kundennähe, die strategische Weitsicht. KI ist aus dieser Perspektive kein Jobkiller, sondern vielmehr ein Effizienz-Turbo – wenn sie richtig eingesetzt wird. Doch genau daran hapert es noch: Viele Organisationen verharren in der Experimentierphase. Es wird ausprobiert, getestet, improvisiert – aber selten systematisch umgesetzt.
„Viele starten mit Tools, bevor sie wissen, welches Problem sie eigentlich lösen wollen.“ Dieser Satz aus unserem aktuellen ServicePodcast von Helmut Niessner, der Unternehmen beim Einstieg in KI begleitet, bringt es auf den Punkt. Denn wer KI einführt, um nur Kosten zu sparen oder Trends zu bedienen, verspielt das Potenzial. Erfolgreiche Unternehmen gehen anders vor – das zeigt sich in vielen Best Practices, die wir von den KVD-Mitgliedsunternehmen kennen. Diese beginnen beim konkreten Nutzen: Welche Herausforderung eignet sich, mit KI als Tool bearbeitet zu werden? Welchen Engpass kann KI beheben? Wo verbessert sie Kundenerlebnisse, wo entlastet sie Mitarbeitende? Erst dann lohnt der Einstieg.
Hinzu kommt: KI im Service funktioniert nicht ohne Grundlagen. Gute Daten sind die neue Infrastruktur. „Garbage in, garbage out“ – was trivial klingt, ist entscheidend. Ein Chatbot, der auf unsortierte Dokumente zugreift, bleibt blind. Wer dagegen seine Wissensbasis strukturiert, Prozesse dokumentiert und Fachwissen digital verfügbar macht, schafft die Voraussetzung für intelligente Automatisierung. Das Potenzial von KI in Verbindung mit soliden, nachprüfbaren Daten aus dem Wissensmanagement – so entfaltet sich der eigentliche Mehrwert. Das können auch spezialisierte KI-Assistenten sein, die Anfragen vorsortieren, Informationen zusammenfassen oder Verträge prüfen.
Parallel dazu verändern sich die Organisationen selbst. Führung wird neu definiert: Sie muss Teams aus Menschen und Maschinen koordinieren, Verantwortung klar zuweisen und Vertrauen schaffen. Das gelingt nur mit Transparenz und Schulung, ganz so wie es auch der EU AI Act vorsieht. Mitarbeitende müssen wissen, was KI kann – und was nicht. Denn nur wer versteht, wie ein System arbeitet, kann seine Ergebnisse kritisch hinterfragen. Es gilt also: Künstliche Intelligenz ersetzt nicht das Denken; sie verlangt es erst recht, gerade auch im Service.
Die nächsten Entwicklungsstufen sind bereits sichtbar. KI-Agenten, also Systeme, die eigenständig Aufgaben ausführen, könnten bald Serviceaufträge auslösen oder Ersatzteile bestellen. Doch wer solche digitalen Kolleginnen einsetzt, braucht klare Leitplanken: definierte Befugnisse, Freigabeschleifen, ein „Kill Switch“ im Notfall. Der technologische Fortschritt darf nicht die Verantwortung überholen. Rechtliche Vorgaben, auch hier wieder aus dem EU AI Act, machen deutlich, dass KI-Projekte nicht nur technisch, sondern auch ethisch sauber aufgesetzt sein müssen.
Für Serviceorganisationen bedeutet das: Jetzt ist der Moment, die eigene KI-Reise bewusst zu gestalten. Das beginnt mit kleinen, klar umrissenen Projekten – Pilotanwendungen mit messbarem Nutzen. Daraus entstehen Routinen, die skalieren lassen, was funktioniert. Wer dagegen zu früh zu viel will, läuft Gefahr, sich im Hype zu verlieren. Der Königsweg liegt zwischen Experiment und Exzellenz: mutig ausprobieren, aber strukturiert vorgehen.
Denn eines zeigt sich schon jetzt – in Studien wie in der Praxis: KI wird nicht mehr verschwinden. Sie wird zum festen Bestandteil des Servicemanagements, so selbstverständlich wie heute CRM-Systeme oder Wissensdatenbanken. Der entscheidende Unterschied liegt darin, wie Unternehmen sie nutzen: als reaktives Tool oder als strategischen Hebel.
Mein Appell lautet daher: Nicht warten, bis andere die Standards setzen. Wer heute die Grundlagen legt, Daten strukturiert, Mitarbeitende befähigt und sinnvolle Anwendungsfälle identifiziert, baut sich einen echten Vorsprung auf. Künstliche Intelligenz ist kein Selbstzweck. Sie ist das Werkzeug, das den Service von morgen gestaltet – menschlich, effizient, skalierbar.
Autor: Michael Braun, KVD-Redakteur
