Der technische Service befindet sich im Moment in einem grundlegenden Umbruch – wir haben es an den mitunter sehr verschiedenen Themen auf dem Service Congress 2025 gesehen. Was ich beobachtet habe: Während viele Unternehmen noch immer versuchen, Effizienz und Reaktionsfähigkeit in ihren globalen Serviceorganisationen zu steigern, zeigt die Forschung inzwischen deutlich, dass der eigentliche Transformationshebel an einer anderen Stelle liegt. Sie sehen ihn im Übergang von einer linearen zu einer zirkulären Wertschöpfung. Dieser Wandel ist weit mehr als eine ökologische Notwendigkeit. Er entwickelt sich zu einem zentralen wirtschaftlichen und strategischen Faktor für Unternehmen, die ihren Service neu denken und weiterentwickeln wollen.
Wenn man einmal genau draufschaut: Die klassischen Modelle der Industrie basieren bis heute auf dem Prinzip „Take–Make–Dispose“. Produkte werden entwickelt, verkauft, genutzt und schließlich entsorgt. Ich habe mir dazu einmal verschiedene Studien angesehen; McKinsey hat zum Beispiel gezeigt, dass in diesem linearen Modell enorme wirtschaftliche Potenziale verloren gehen – insbesondere am Ende des Lebenszyklus eines Produkts. Eine zirkuläre Wertschöpfung hingegen schafft kontinuierlichen Nutzen über die gesamte Lebensdauer hinweg, indem Produkte repariert, wiederverwendet, aufbereitet oder als servicebasierte Modelle betrieben werden. Dadurch entstehen stabile, wiederkehrende Einnahmen, während gleichzeitig der ökologische Fußabdruck reduziert wird. Für den technischen Service bedeutet das aus meiner Sicht einen grundlegenden Perspektivenwechsel: Nicht der Produktverkauf entscheidet über den wirtschaftlichen Erfolg, sondern die Fähigkeit, den Wert eines Produkts über seine gesamte Lebensdauer zu steigern und zu sichern.
Am internationalen Service lässt sich die Struktur ablesen
Gerade international betrachtet wird dieser Wandel besonders sichtbar. Viele Märkte haben eine ausgeprägte Reparatur- und Wiederverwendungskultur. In Regionen mit begrenzender Kapitalausstattung entstehen durch Refurbishment und Remanufacturing neue Absatzmöglichkeiten, die völlig neue Kundensegmente erschließen. Gleichzeitig setzt Europa mit der Ökodesign-Verordnung und dem Recht auf Reparatur regulatorische Impulse, die Unternehmen verpflichten, Reparierbarkeit, Lebensdauer und Wiederverwendbarkeit aktiv in ihr Geschäftsmodell einzubeziehen. Die Folge ist ein wachsender Druck, die Serviceorganisation nicht nur technisch, sondern konzeptionell und strategisch weiterzuentwickeln. Internationale Unternehmen, die diesen Wandel frühzeitig gestalten, entwickeln sich zu Treibern eines neuen Marktstandards, bei dem der Service die zentrale Rolle einnimmt.
Aus meiner Erfahrung bei uns im Service-Verband KVD wird dabei deutlich, dass der Schlüssel zum Erfolg nicht in der Technologie allein liegt. Viel entscheidender sind Struktur, Führung und Transparenz. Eine Organisation, die Service weiterhin als reine Kostenstelle führt, kann von der Kreislaufwirtschaft kaum profitieren. Erst wenn Service als eigenständiges Profit Center gedacht und gesteuert wird, entsteht die notwendige Grundlage, um das volle Potenzial der zirkulären Modelle zu realisieren. Dazu gehört zwingend eine klare Sicht auf die installierte Basis, auf Verträge, Gerätezyklen und die Profitabilität einzelner Märkte. Nur durch diese Transparenz kann eine Organisation erkennen, wo Reparatur, Refurbishment, Modernisierung oder Lifecycle-Services echten Mehrwert schaffen – und wo neue Geschäftsmodelle entstehen können, die jenseits des klassischen Produktverkaufs liegen.
Wann funktionieren zirkuläre Modelle?
Gleichzeitig zeigt sich, dass globale Steuerung und lokale Autonomie kein Widerspruch sind, sondern sich gegenseitig bedingen. Zirkuläre Geschäftsmodelle funktionieren nur dann, wenn Länderorganisationen ausreichend Handlungsspielraum besitzen, um Reparatur- und Refurbishment-Angebote an lokale Marktbedürfnisse anzupassen. Ein rein zentralistisches Modell wäre hier kontraproduktiv, da es Geschwindigkeit nimmt und die spezifischen Marktbedingungen ignoriert. Umgekehrt braucht es eine starke globale Leitplanke, die sicherstellt, dass Lifecycle-Modelle wirtschaftlich konsistent, markenstärkend und strategisch ausgerichtet umgesetzt werden. Dieser Balanceakt ist eine Führungsaufgabe, keine technische.
Hinzu kommt ein notwendiger kultureller Wandel innerhalb der Serviceorganisationen. Viele Teams sind historisch in einer reaktiven Logik verankert: Fehler finden, Probleme beheben, Funktionsfähigkeit wiederherstellen. Die Kreislaufwirtschaft hingegen erfordert eine proaktive, lebenszyklusorientierte Denkweise. Sie belohnt Organisationen, die frühzeitig in Wartung, Upgrades, Modernisierung und Wiederverwendung investieren und damit den Lebenszyklus der Produkte verlängern. Es geht weniger darum, Ausfälle zu beheben, sondern vielmehr darum, Produktnutzung, Effizienz und Verfügbarkeit kontinuierlich zu optimieren. Wir haben das bei uns im Verband in einer eigenen Arbeitsgruppe ausführlich ausgearbeitet und Materialien für unsere Mitglieder entwickelt.
Danach zeigt sich aus meiner Sicht: Die Konsequenzen dieses Wandels für die Servicebranche sind weitreichend. Unternehmen, die ihre Serviceorganisation konsequent auf zirkuläre Modelle ausrichten, sichern sich nicht nur höhere Margen, sondern auch eine größere Resilienz gegenüber schwankenden Neugeschäftsmärkten und eine bessere Compliance mit neuen regulatorischen Anforderungen. Vor allem aber gewinnen sie an strategischer Bedeutung im Unternehmen: Der Service wird vom Randbereich eines Produktgeschäfts zum zentralen Werttreiber. Damit entsteht ein neues Rollenverständnis – Service ist nicht länger eine nachgelagerte Funktion, sondern ein eigenständiges Geschäftsmodell.
Meine Perspektive ist damit klar: Die Zukunft des technischen Service ist nicht reaktiv, sondern strategisch. Sie ist nicht linear, sondern zirkulär. Und sie wird nicht durch Technik allein entschieden, sondern durch die Fähigkeit, Leadership, Struktur und Lifecycle-Denken miteinander zu verbinden. Wer die Kreislaufwirtschaft nicht nur als externen Trend, sondern als eigenes Geschäftsmodell begreift, wird in den kommenden Jahren zu den Gewinnern gehören.
Carsten Neugrodda, KVD Geschäftsführer