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Kunden ausgeführt. Dazu braucht es qualifizierte Service-Techniker:innen, die über das nötige Produkt- und Prozesswissen verfügen. Für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) der Investitionsgüterindustrie stellt insbesondere die Internationalisierung eine Herausforderung dar, da qualifizierte Service-Techniker:innen eine rare Ressource sind. Es gilt sie möglichst effektiv und effizient einzusetzen. Zu diesem Zweck wird im Rahmen des SerWiss-Projektes eine Lösung  entwickelt, die es KMU ermöglicht, service-relevantes Wissen effizient zu generieren, zu strukturieren und am Point-of-Service bereitzustellen sowie im Rahmen geeigneter Geschäftsmodelle zu vermarkten. In Ausgabe 2/23 der Service Today wurde dazu bereits die im SerWiss-Projekt erarbeitete Methodik eines systematischen Wissensmanagements – die Integration von KCS und Intelligent Swarming – für KMU erörtert, um service-relevantes Wissen systematisch zu erfassen, zu strukturieren und zu speichern. In dieser Ausgabe wird erläutert, wie sich dieses erfasste Wissen als kundenorientiertes Wertangebot einsetzen und erlöswirksam in entsprechenden Geschäftsmodellen umsetzen lässt.

Ein Geschäftsmodell beschreibt die Grundlogik, wie ein Unternehmen Wert erzeugt, an seine Kunden vermittelt und selbst damit Geld verdient. Es besteht aus den vier Dimensionen Zielkunden, Wertangebot, Wertschöpfungskette  und Ertragsmechanik (vgl. Abbildung 1). Im klassischen Service-Geschäftsmodell der Investitionsgüterindustrie ist Wissen eine implizite Ressource, die in den Köpfen der Service-Techniker:innen gespeichert ist und zur Serviceerbringung beim Kunden vor Ort ausgeführt wird. Mithilfe digitaler Lösungen, wie z. B. Wissensmanagementsoftware, in Kombination mit den entsprechenden Wissensmanagementmethoden (KCS und Intelligent Swarming) kann Wissen heutzutage explizit erfasst und in Datenbanken gespeichert werden. Auf diese Weise kann implizites Wissen aus den Köpfen der Menschen extrahiert und unternehmensweit – und auch gegenüber Kunden – verfügbar gemacht werden. Dies ermöglicht Unternehmen Wissen nicht mehr nur als Ressource zur Serviceerbringung einzusetzen, sondern ihren Kunden Wissen als eigenständiges Wertangebot zu offerieren – was die Grundlage für wissensbasierte Geschäftsmodelle darstellt.

Wissensbasierte Geschäftsmodelle:

Im Rahmen des SerWiss-Projektes wurden zwei verschiedene wissensbasierte Geschäftsmodelle konzipiert, für deren Entwicklung eine Bedürfnisanalyse bei sechs Zielkunden der SerWiss-Unternehmenspartner durchgeführt wurde. Zielkunden von KMU aus der Investitionsgüterindustrie sind ebenfalls produzierende Unternehmen, die hauptsächlich in Serie produzieren. Diese verfügen an ihren Produktionsstandorten über qualifizierte Instandhaltungsmannschaften. Diese sind darin bestrebt, möglichst schnell und autark zu agieren, um Stillstandzeiten und die damit verbundenen Kosten im Falle eines Maschinenausfalls bzw. während einer Reparatur oder Wartung gering zu halten. In diesem Zusammenhang fehlt ihnen häufig das entsprechende Produkt- und Prozesswissen, um selbstständig Reparaturen und Wartungen ausführen zu können. Die beiden wissensbasierten Geschäftsmodelle adressieren dieses Kundenbedürfnis, indem den Kunden das notwendige Wissen zur Verfügung gestellt wird. Der Kunde übernimmt nunmehr die ausführende Rolle, während der Hersteller zum Wissensanbieter wird und den Kunden bei der Ausführung unterstützt.

  • Wissen-as-a-Service: Der Kunde bekommt Zugang zur unternehmensweiten Wissensbasis. Hier ist produktspezifisches Wissen, wie z. B. Wartungspläne, Schaltpläne, CADModelle und Serviceberichte, sowie prozessspezifisches Wissen, wie z. B. eine Lösungsdatenbank für Fehler und Ausfälle, detaillierte Arbeitsanweisungen sowie Anleitungen gespeichert. Über eine Software können die Kunden über ihre mobilen Endgeräte zu jeder Zeit auf das benötigte Wissen zugreifen. In der Software kann die gesamte Wissensbasis über eine intelligente Suchfunktion nach Maschinentypen, Fehlerbeschreibungen oder Symptomen durchsucht werden, wie z. B. „Klackern an Maschine XY“. Statisches Produktspezifisches Wissen wird den Kunden kostenfrei zur Verfügung gestellt, während prozessspezifisches Wissen kostenpflichtig angeboten wird, da es einer kontinuierlichen Aktualisierung bedarf und damit auch den größeren Wert für den Kunden hat.
  • Remote Support: Bei dieser Lösung wird eine Echtzeitverbindung zwischen dem Instandhaltungsmitarbeitenden des Kunden und dem Servicemitarbeitenden des Herstellers über ein mobiles Endgerät, z. B. Smartphone, Tablet oder AR-Brille, hergestellt. Im gemeinsamen Austausch versuchen die Mitarbeitenden beider Unternehmen das Problem zu identifizieren und zu lösen. Der Servicemitarbeitende des Herstellers durchsucht während des Gesprächs an seinem Computer die Wissensbasis nach potenziellen Lösungen und leitet den Instandhaltungsmitarbeitenden des Kunden an. Das Gespräch wird von einer KI transkribiert und zusammen mit durch den Kunden veranlassten Foto- und Videoaufnahmen in der Wissensbasis abgespeichert. Mithilfe dieser Lösung wird die Zeit der Fehlersuche und -behebung drastisch verkürzt und die Service-Techniker:innen müssen weniger reisen. Zur Abrechnung steht den Herstellern entweder die Abrechnung im Rahmen eines monatlichen Abonnements (Servicevertrag) zur Verfügung oder die herkömmliche aufwandsbezogene Abrechnung über die Dauer des (Remote-)Serviceeinsatzes, jedoch mit
    einer im Vergleich zu internationalen Flugreisen deutlich niedrigen „Remote-Pauschale“.

Umsetzung in KMU

Die Umsetzung dieser wissensbasierten Geschäftsmodelle ist für KMU eine Herausforderung. Bevor Wissen als Wertangebot
an Kunden offeriert werden kann, muss es systematisch erzeugt, gespeichert und aufbereitet werden. Für KMU gilt es daher zunächst die entsprechende Softwareinfrastruktur aufzubauen und wissenszentrierte Arbeitsprozesse zu schaffen (vgl. ServiceToday Ausgabe 2). Die Verstetigung dieser wissenszentrierten Arbeitsprozesse in der Organisation stellt einen abteilungsübergreifenden und nicht zu unterschätzenden Change-Prozess für KMU dar. Im SerWiss-Projekt wurde daher ein zweistufiger Umsetzungsplan erarbeitet. Die erste Stufe beschreibt die unternehmensinterne Umsetzung in Bezug auf den Change-Prozess, d. h. die Implementierung der nötigen Ressourcen (Softwareinfrastruktur) und Aktivitäten (wissenszentrierte Arbeitsprozesse) in der Organisation. Durch das wissenszentrierte Arbeiten wird sukzessiv Wissen aufgebaut, welches zu Effizienzvorteilen in der Serviceerbringung führt und Kosten spart. Beispielsweise können Servicefälle durch die bessere Verfügbarkeit von Informationen effizienter vorbereitet und abgeschlossen werden. Die zweite Stufe beschreibt die kundenwirksame Umsetzung. Beide Geschäftsmodelle werden den Kunden in der Gewährleistungszeit (zwei Jahre) kostenfrei angeboten und erst nach Ablauf der Gewährleistung erlöswirksam. Einerseits können sich so die Mitarbeitenden der Kunden an das Arbeiten mit der neuen Lösung gewöhnen und ihren Wert für sich zwei Jahre lang evaluieren. Andererseits wird so die Einkaufabteilung umgangen, die – und dies war ein weiteres Ergebnis der Kundeninterviews – immer noch nach dem initialen Kaufpreis entscheidet. Durch das kostenlose Angebot wird der initiale Kaufpreis nicht belastet und nach der Gewährleistungszeit trifft die Fachabteilung die Entscheidung für oder gegen
die neue Lösung (und nicht mehr der Einkauf).