Skip to main content
search

Man stelle sich vor, man könnte vorhersagen, wann Mitarbeitende kündigen – und eben genau dann eingreifen, bevor sie gehen. Kein Science-Fiction-Szenario, sondern das Kernthema von Michael Röhr von People Rebellion, der sich selbst als „Fluktuationsforensiker“ bezeichnet. Im Interview mit ServiceToday-Redakteur Michael Braun erklärt der Experte, wie seine Organisation mit kriminalistischem Spürsinn Daten analysiert, Frühwarnsysteme installiert und Führungskräfte konfrontiert – immer auf der Suche nach den tieferliegenden Ursachen für hohe Fluktuation. Die Methode: Fluktuationsforensik. Der Zweck: Win-Win-Situationen schaffen. Der Weg: präzise, datenbasiert, unaufgeregt. Ein Gespräch über moderne Mitarbeiterbindung, unternehmerische Blindspots und das Ampelsystem gegen Kündigungen.

Das Interview

/ Michael Braun

Michael, bevor wir tiefer in das Thema Fluktuationsforensik einsteigen – was hat People Rebellion überhaupt motiviert, sich so intensiv mit dem Thema Mitarbeiterfluktuation zu beschäftigen?

/ Michael Röhr

Ganz einfach gesagt: weil uns immer wieder aufgefallen ist, dass Unternehmen zwar unglaublich viel Aufwand und Geld ins Recruiting stecken – aber beim Halten der Mitarbeitenden eher planlos agieren. Da werden aufwändige Social-Media-Kampagnen gestartet, E-Recruiting läuft auf Hochtouren, KI wird eingesetzt – und trotzdem gehen Mitarbeitende nach kurzer Zeit wieder. Wir haben uns gefragt: Warum passiert das? Und vor allem: Wie ließe sich das verhindern? Wir sehen es jeden Tag: Die Fluktuation ist hoch – und sie trifft Unternehmen oft unvorbereitet. Dabei ist sie nicht willkürlich. Sie folgt klaren Mustern. In wirtschaftlich starken Phasen nimmt sie zu, durch Homeoffice und neue Arbeitsmodelle wird ein Wechsel leichter. Und dann kommt noch der demografische Wandel dazu: Ältere Mitarbeitende gehen in Rente, Nachwuchs fehlt, der Wettbewerb um Talente ist groß. All das sind Gründe, warum Fluktuation heute mehr denn je zum Risikofaktor für Unternehmen wird. Mitarbeitende die nicht kündigen, muss ich nicht auf einem stark umkämpften Arbeitsmarkt mühsam suchen. Was uns antreibt, ist die Erkenntnis: Viele Kündigungen sind vorhersehbar. Man muss nur genau hinschauen – in die Daten, in die Strukturen, in die Kommunikation. Genau dafür haben wir unsere Methode entwickelt. Wir wollen weg vom Bauchgefühl und hin zu einem System, das aufzeigt, wo es brennt – bevor es zu spät ist.

/ Michael Braun

Sie bezeichnen sich selbst als Fluktuationsforensiker. Was genau meint dieser Begriff? Ich sehe das klassische Bild von einem Detektiv mit Lupe vor mir…

/ Michael Röhr

… die Richtung ist schon die richtige: Wir betreiben Forensik im HR-Bereich. Unser Ziel ist, Fluktuation voraussagbar zu machen und ihr mit gezielten Maßnahmen entgegenzuwirken.

/ Michael Braun

Was sind aus Ihrer Sicht die häufigsten Herausforderungen, wenn Unternehmen Fluktuation reduzieren wollen?

/ Michael Röhr

Die größte Hürde liegt oft in den Daten. Unternehmen haben zwar viele Kennzahlen – von Anzahl der Mitarbeitenden, Krankenstände bis zu mehr oder weniger protokollierten Austrittsgesprächen – aber selten eine saubere, zentrale und damit auswertbare Datenlage. Wir betreiben echte Detektivarbeit: Wir sammeln fragmentierte Informationen, korrelieren sie, analysieren Muster. Das Ziel ist ein Frühwarnsystem, das zeigt, in welchen Teams Handlungsbedarf besteht. Dazu nutzen wir ein Ampelsystem.

/ Michael Braun

Wie funktioniert das konkret?

/ Michael Röhr

Wir schauen auf Krankenstände, Kündigungsraten, Feedbacks aus Pulsbefragungen – am besten schaffen Unternehmen dazu niedrigschwellig Möglichkeiten per App, direkt beim Schichtbeginn oder nach einer Versammlung. Auch qualitative Gespräche mit Mitarbeitenden gehören dazu. Erst die Kombination aus Zahlen und Stimmen ergibt ein klares Bild. Wichtig ist: Wir hören nicht bei Glaubenssätzen auf, wie „Der hat eh nicht zu uns gepasst“. Stattdessen fragen wir: Warum hat er nicht gepasst? Wer trägt Verantwortung?

/ Michael Braun

Sie haben das Ampelsystem erwähnt – wie genau funktioniert das?

/ Michael Röhr

Wir übersetzen unsere Erkenntnisse in ein Dashboard, das Unternehmen fortlaufend nutzen können. Grün heißt: alles im Lot. Gelb: Achtung, Handlungsbedarf. Rot: Alarm – hier drohen erhöhte Kündigungen. Das System basiert auf den ermittelten KPIs und wird kontinuierlich justiert. So entsteht ein Frühwarnsystem, das keine Eintagsfliege ist. In der Industrie setzt man Predictive Maintenance schon lange ein, wir portieren diesen Ansatz in die HR-Welt.

/ Michael Braun

Und wie überzeugt man Führungskräfte davon, sich auf diese Analysen einzulassen?

/ Michael Röhr

Mit Zahlen. Wir zeigen konkret mit Hilfe unsers entwickelten Datenmodells, wie viel Geld ein Unternehmen durch Kündigungen verliert. Die Faustformel besagt, dass eine Kündigung dem Unternehmen zwischen 0,5 und zwei Jahresgehälter kostet. Wenn wir durch Investitionen in Mitarbeiterbindung diese Kündigungen verhindern können, rechnet sich das sofort. Das spricht eine deutliche Sprache.

/ Michael Braun

Welche Bindungsmaßnahmen empfehlen sich nach der Analyse?

/ Michael Röhr

Es gibt nicht die eine Lösung. Wichtig ist, zielgruppenspezifisch zu denken. Schauen wir uns zum Beispiel das Thema Benefits einmal an. Für jüngere Teams kann das Fitnessstudio-Abo ziehen, für ältere Mitarbeitende, die körperlich schwer arbeiten, erscheint das wenig attraktiv, hier ist eher ein Rentenbaustein die Lösung Ein weiteres Phänomen unserer Zeit ist die Frühfluktuation. Damit ist die Kündigung vor dem ersten Arbeitstag oder in der Probezeit gemeint. Hier ist Pre-Boarding ein starkes Tool: Der Kontakt zum neuen Team beginnt dabei schon weit vor dem ersten Arbeitstag, zeitnah nach Vertragsunterzeichnung. Ein kleines Willkommenspaket, eine Karte „wir freuen uns auf dich“, es sind in dieser Phase die kleinen Gesten, die die emotionale Bindung früh starten lässt. Das ist entscheidend um Mitarbeitende möglichst früh emotional an das Unternehmen zu binden. Denn, das sagt sowohl die Statistik als auch unsere Erfahrung, emotional gebundene Mitarbeitende kündigen nicht so häufig.

/ Michael Braun

Und welche Rolle spielt Führung in diesem Prozess?

/ Michael Röhr

Eine zentrale. Führungskräfte müssen die Zahlen verstehen, aber auch Verantwortung übernehmen. Deshalb arbeiten wir eng mit ihnen in Workshops, konfrontieren sie mit den Ergebnissen und entwickeln gemeinsam Maßnahmen. Es geht nicht darum, Schuldige zu suchen, sondern Systeme zu verbessern.

/ Michael Braun

Was können Unternehmen kurzfristig tun, wenn sie hohe Fluktuation beobachten?

/ Michael Röhr

Mein erster Rat: Investiert in Kommunikation. Gerade operative Mitarbeitende fühlen sich oft abgehängt – einmal im Jahr eine Folie vom Vorstand reicht nicht. Zielgruppengerechte Kommunikation ist hier der Hebel. Snackable Content, am besten auf dem Handy. Das ist kein Niceto-have mehr, sondern ein Muss.

Close Menu