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Der Koalitionsvertag der neuen Bundesregierung war mit Spannung erwartet worden – einerseits, weil sich erstmals drei Parteien auf Bundesebene einigen mussten, und andererseits, weil die Positionen von SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen an einigen Stellen extrem weit auseinander lagen. Würden die drei Parteien Kompromisse finden oder würden Kompromisse im Koalitionsvertrag die Aussagen und damit die darauf zu entwickelnden Regelungen zu stark verwässern? Tatsächlich ist der Koalitionsvertrag deutlich aussagekräftiger geworden als allgemein vermutet. Und: Er ist stark auf die Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung ausgelegt. Beide Bereiche werden an vielen Stellen miteinander verknüpft – so wie es auch der KVD bei der Dienstleistungswende formuliert.

Blickt man in den Vertrag vom 24. November 2021 hinein, ergeben sich einige Schwerpunkte zu den drei Säulen der Nachhaltigkeit. Wichtiger Aspekt ist die Überarbeitung des – noch gar nicht so lange existierenden – Klimaschutzgesetzes sowie die Überprüfung sämtlicher Gesetzesvorhaben hinsichtlicher Auswirkungen auf das Klima, kurz „Klimacheck“ genannt: „Wir werden das Klimaschutzgesetz noch im Jahr 2022 konsequent weiterentwickeln und ein Klimaschutz-Sofortprogramm mit allen notwendigen Gesetzen, Verordnungen und Maßnahmen auf den Weg bringen. Wir werden Klimaschutz zu einer Querschnittsaufgabe machen, indem das jeweils federführende Ressort seine Gesetzentwürfe auf ihre Klimawirkung und die Vereinbarkeit mit den nationalen Klimaschutzzielen hin prüft und mit einer entsprechenden Begründung versieht (Klimacheck).“

Dann ist da ist die Energiepolitik, die vor allem in die ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit hineinspielt: Der Kohleausstieg soll bis 2030 vorgezogen werden, verbunden mit einem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien für ein klimaneutrales Deutschland. 80 Prozent des Strombedarfs sollen dann von Erneuerbaren Energien gedeckt werden, bis 2045 möchte man klimaneutral sein. Diese Vorgabe hat nach Fertigstellung des Koalitionsvertrages durch den Krieg zwischen Russland und der Ukraine und der damit verbundenen Diskussion um Gaslieferungen aus Russland nochmal an Tempo gewonnen.

Ein wichtiger Aspekt des Koalitionsvertrages ist die Circular Economy: Kreislaufwirtschaft ist im Koalitionsvertrag prominent platziert mit einem eigenen Kapitel und wird als maßgebliche Steuerungs- und Koordinierungsaufgabe im Kanzleramt angesiedelt. Im Vertrag heißt es dazu: „Wir fördern die Kreislaufwirtschaft als effektiven Klima- und Ressourcenschutz, Chance für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung und Arbeitsplätze. Wir haben das Ziel der Senkung des primären Rohstoffverbrauchs und geschlossener Stoffkreisläufe. Hierzu passen wir den bestehenden rechtlichen Rahmen an, definieren klare Ziele und überprüfen abfallrechtliche Vorgaben. In einer ‚Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie‘ bündeln wir bestehende rohstoffpolitische Strategien.“ Der Koalitionsvertrag wird hier ziemlich konkret:  So soll es die Einführung eines digitalen Produktpasses für umfangreiche Informationen zum Produkt entlang der Wertschöpfungs­kette geben. Recylingquoten sollen erweitert werden auf chemisches Recycling. Grundsätzlich sollen die Recycling­quoten erhöht werden. Angedacht ist auch eine produktspezifische Mindestrezyklatquote auf europäischer Ebene. Viel erwarten kann man von den Qualitätsstandards für Rezyklate, von der Einführung eines neuen Recycling­labels und von einem – dann gesetzlich verankerten – Fondsmodell für ressourcen­schonendes und recycling­freundliches Verpackungs­design und Rezyklateinsatz.

Eine wichtige Rolle wird dabei auch das Thema Normen spielen. Hier arbeitet das Deutsche Institut für Normung (DIN) e. V. aktuell an einer Normungsroadmap Circular Economy, die Ende 2022 veröffentlicht werden soll – als Wegweiser für die Normung und Standardisierung der Circular Economy. Ziel ist, Anforderungen und Herausforderungen für sieben Schwerpunktthemen zu beschreiben und konkrete Handlungsbedarfe für zukünftige Normen und Standards zu identifizieren und zu formulieren.

Gemeinwohlorientiertes Wirtschaften und soziale Innovationen fallen dann in den Bereich der sozialen Nachhaltigkeit:  „Wir erarbeiten eine nationale Strategie für Sozialunternehmen, um gemeinwohlorientierte Unternehmen und soziale Innovationen stärker zu unterstützen. Wir verbessern die rechtlichen Rahmenbedingungen für gemeinwohlorientiertes Wirtschaften, wie zum Beispiel für Genossenschaften, Sozialunternehmen, Integrationsunternehmen“, heißt es dazu im Koalitionsvertrag. Damit werden die rechtlichen Rahmenbedingungen von gemeinwohlorientiertem Wirtschaften verbessert. Und auch für die Erwachsenenbildung möchte man in diesem Zusammenhang mehr tun: „Mit einem Förderprogramm für Volkshochschulen und andere gemeinnützige Bildungseinrichtungen investieren wir in digitale Infrastruktur. Die Umsatzsteuerbefreiung für gemeinwohlorientierte Bildungsdienstleistungen wollen wir europarechtskonform beibehalten.“

Hauptsächlich in den Bereich der ökonomischen Nachhaltigkeit lässt sich wohl das eigene Kapitel zu „Sustainable Finance“ einsortieren, das überraschend viel Platz bekommen hat: „Wir wollen Deutschland zum führenden Standort nachhaltiger Finanzierung machen und uns dabei am Leitbild der Finanzstabilität orientieren. Angemessene Rahmenbedingungen für nachhaltige Finanzprodukte unterstützen wir. Nicht-risikogerechte Eigenkapitalregeln lehnen wir ab. Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken sind Finanzrisiken. Wir setzen uns für europäische Mindestanforderungen im Markt für ESG-Ratings und die verbindliche Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken in

Kreditratings der großen Ratingagenturen ein. Wir setzen uns dafür ein, dass auf europäischer Ebene ein einheitlicher Transparenzstandard für Nachhaltigkeitsinformationen für Unternehmen gesetzt wird. Ökologische und gegebenenfalls soziale Werte wollen wir im Dialog mit der Wirtschaft in bestehende Rechnungslegungsstandards integrieren, beginnend mit Treibhausgasemissionen. Wir unterstützen deshalb das Vorhaben der Europäischen Kommission, eine „Corporate Sustainability Reporting Directive“ zu entwickeln.“ Die Bundesregierung wird also auf Basis der Empfehlungen des Sustainable Finance Beirats eine Sustainable Finance Strategie mit internationaler Reichweite implementieren.

Sehr konkret in den geplanten Maßnahmen wird das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz mit der „Eröffnungsbilanz Klimaschutz“. Darin zeigen sich die Nachholbedarfe für Deutschland, oder wie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck es ausdrückt: „Wir starten mit einem drastischen Rückstand. Die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen sind in allen Sektoren unzureichend.“ Ziel des Klimaschutz-Sofortprogramms ist es, alle Sektoren auf den Zielpfad zu bringen und die erforderlichen Maßnahmen in die Wege zu leiten, damit Deutschland seine Klimaziele erreichen kann.

Zu den Sofortmaßnahmen, die das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz zeitnah vorlegen wird, gehören unter anderem:

EEG-Novelle: Weichenstellung für 80 Prozent erneuerbare Stromerzeugung bis 2030. Dafür werden die Ausschreibungsmengen erhöht. Außerdem wird der Grundsatz verankert, dass der EE-Ausbau im überragenden öffentlichen Interesse ist und der öffentlichen Sicherheit dient.

Solarenergie: Das Solarbeschleunigungspaket soll die Solarenergie deutlich vorzubringen. Hierzu zählen unter anderem eine Verbesserung beim Mieterstrom, die Anhebung der Ausschreibungsschwellen und eine Öffnung der Flächenkulisse für Freiflächenanlagen unter Beachtung von Naturschutzkriterien. Alle geeigneten Dachflächen sollen künftig für die Solarenergie genutzt werden sollen. Bei gewerblichen Neubauten wird Solarenergie verpflichtend, bei privaten Neubauten die Regel.

Wasserstoffstrategie: Maßnahmen zum Markthochlauf der Wasserstofftechnologie werden angehoben, um die Produktion an grünem Wasserstoff gegenüber den bisherigen Plänen zu verdoppeln. Hierfür wird die Nationale Wasserstoffstrategie überarbeitet – mit zusätzlichen Förderprogrammen.

Mit den zum Teil sehr konkreten und sehr detaillierten Maßnahmenpaketen hat der Koalitionsvertrag überrascht. Und in einigen Ministerien ist das neue Tempo zur Umsetzung der Maßnahmen auch schon spürbar. Natürlich bleibt auch festzustellen, dass unkalkulierbare Faktoren wie die Corona-Pandemie oder der Ukraine-Krieg diese Strategien beeinflussen werden – es kann zu einer Verlangsamung kommen, aber auch zu einer Beschleunigung, wie man aktuell bei der Diskussion um die Energieversorgung Deutschlands sieht.

Von Michael Braun, KVD Redaktion